Karneval Dünkirchen
Karneval in Dünkirchen

In Brigittes kleiner Wohnung herrscht an den tollen Tagen fast rund um die Uhr organisiertes Chaos. „Hier kommen nur Leute rein, die ich kenne. Eben auf Einladung. Eine Kapelle ist schließlich kein öffentliches Haus – zumindest im Karneval,“ fügt sie lachend hinzu und begrüßt wieder neue Gäste, die kurz zwecks Erkennung die Maske lüften müssen. Gleichzeitig verlassen andere das Haus, um sich wieder ins fröhliche Treiben zu stürzen. Brigittes Heiterkeit steckt an. Trotz des schweißtreibenden Service für die Feierwütigen wirkt sie weder unglücklich noch gestresst. „Es macht einfach Spaß, für alle da zu sein.“ Sie grinst und blickt zufrieden in die Runde. „Früher habe ich nur Kuchen gebacken, davon hatte ich dann meinen Spitznamen weg. Alle nannten mich schon Mamie Gateau, bevor ich es überhaupt selbst wusste.“
Heute serviert sie auch das traditionelle flämische pootje vleesch, eingelegtes, langsam gekochtes Fleisch, das kalt zu den unvermeidlichen Fritten serviert wird. Zudem gibt es cululut, den Kuchen der Armen. Dieser stammt, so weiß die Überlieferung zu berichten, aus der großen Zeit der Fischerei in Nordfrankreich vor gut 200 Jahren. Damals wurde der einfache Teig aus Griesmehl, Milch, Butter und Rosinen hergestellt und mit Rum versetzt. Ein sehr haltbares, gehaltvolles und aromatisches Lebensmittel für die Seefahrer, die meist mehrere Wochen unterwegs waren. Podingue schließlich beschreibt eine Art Pudding aus altem Brot, gemischt mit Ei, Rum, Rosinen und eventuell – ganz nach eigenem Gusto - weiterem Obst.
Die Feierlichkeiten von Malo-les-Bains stellen den spektakulären Abschluss des Karnevals von Dünkirchen und seiner Nachbargemeinden dar. Damit auch jeder, der vielen Ortsteile sein adäquates Fest bekommt, werden jeden Samstag und Sonntag an einem anderen Ort Umzüge organisiert und zünftige Bälle veranstaltet. Das beginnt mit dem Ball der schwarzen Katze schon viele Wochen vor Rosenmontag, an dem traditionell die größte Parade im Stadtzentrum durchgeführt wird, und endet üblicherweise erst am Wochenende danach. Karneval war in der Region schon sehr lange bekannt, seit dem 17.Jahrhundert leisten speziell die Fischer ihren zusätzlichen Beitrag dazu. Weil die Ausbeute der Fangzüge nicht mehr ausreichte, waren die Seeleute gezwungen für längere Zeit hinaus zu fahren, was bis zu sechs Monaten dauern konnte.
Die Abfahrt in die ertragreicheren Fanggründe im nördlichen Atlantik erfolgte normalerweise im März, also zur Zeit des Mardi Gras, mit dem dann konsequenterweise der Auszug der Fischer gefeiert wurde. Weil die Schiffe schon vollständig für die Fahrt beladen waren, hatten die Männer keine Kleidung mehr für die Feierlichkeiten. So zogen sie Frauenkleider an. Eine Kostümierung, die bis heute nichts an Popularität eingebüßt hat, ganz im Gegenteil. Maritime Verkleidungen tauchen jetzt indes so gut wie gar nicht auf, lediglich die Musiker tragen knallgelbe Südwester als Hinweis auf die Nähe zum Meer, auch sind nur wenige Masken zu sehen. „Viele Leute, denen du hier begegnest, kenne ich nur in ihrem Kostüm. Ich weiß nicht, wie sie im richtigen Leben aussehen, würde sie wohl gar nicht erkennen“, erzählt Laurence Baillieul von örtlichen Touristenbüro, die sich ebenfalls aktiv am Karneval beteiligt und in ein elegantes schwarzes Kleid aus den 20er Jahren gewandet ist. Dies schon seit Jahren. „Daher tragen viele immer die gleiche Maskierung. Wir feiern dann gemeinsam und verabreden uns fürs kommende Jahr.“
Für die Menschen aus Dunkerque und der Umgebung bedeutet der Karneval sehr viel, er ist wichtiger, wenn nicht wichtigster Bestandteil im Jahreszyklus. Selbst die Arbeitgeber nehmen Rücksicht darauf und sorgen dafür, dass alle Mitarbeiter Gelegenheit bekommen an den Feiern teil- und möglichst viele Termine wahrzunehmen. Neben dem Straßenkarneval richten viele Gruppen und Vereine gut besuchte Bälle und Partys in den regionalen Hallen und Sälen, so auch im Kurhaus von Malo-les-Bains, aus.
Karnevalswagen und Pomp sucht man in den lebhaften Umzügen vergeblich. Alles wirkt sehr natürlich und bodenständig. Die kostümierten Teilnehmer des Zuges von Petite Synthe scharen sich um die Musikgruppen, die während der langen gemeinschaftlichen Wanderung unter den Augen unzähliger Zuschauer einen ganz besonderen Stellenwert einnehmen. Sie bzw. die Gestik des dirigierenden Tambours steuern maßgeblich Ablauf und Choreografie des Zuges. Rhythmuswechsel und plötzlicher prominenter Einsatz eines neuen Instrumentes sind für die anführend marschierenden Karnevalisten, mit bunten Schirmen ausgestattet, Signal zum abrupten Stehen bleiben und, nebeneinander eingehakt, rückwärts zu drängen. Ein simples, aber effektvolles Spiel, das so mancher noch aus Kindergarten- und Schulzeit in Erinnerung hat. Nun dargeboten von fröhlichen, erwachsenen Menschen, die sich mit aller Macht gegen die nachfolgende Menge stemmen. Solange bis die Musik wieder andere Töne anschlägt. Ein ulkiges Bild für die Außenstehenden, die allerdings durchaus unversehens zum aktiven Teil des Geschehens werden können. Vorausgesetzt die Straße ist schmal genug.
Ungewöhnlich auch die Auswahl der sehr lokal eingefärbten Musik. „Wir singen in einer Art Karnevalsdialekt. Eine Mischung aus Patois und Flämisch,“ erläutert Laurence, als sich der Zug langsam seinem Ende nähert. Auf einem großen Platz versammelt sich alles vor einer Bühne von der alsbald die traditionellen, gut verpackten Heringe in die Menge regnen. Und Bonbons für den Nachwuchs.
Die die Session abschließende Prozession der Karnevalisten im ehemals eigenständigen Kurort Malo-les-Bains beginnt am Sonntagmittag zur Ouvertüre mit einem Umzug für Kinder, der teils über den breiten Strand verläuft. Daran nehmen ebenfalls einige Riesenfiguren teil. Sie entstanden aus der Legende, dass ein eroberungswütiger Riese aus dem skandinavischen Raum an die nordfranzösische Küste kam, dort aber dem Charme und Liebreiz eines Mädchens verfiel. Er blieb und beschützt seither Stadt und Meer in der Region.
Fulminant und spektakulär dann der endgültig letzte große Umzug Bande de la Violette, der nochmals Unmengen an Teilnehmern und Zuschauern, auch aus entfernteren Städten des Landes, auf die Straßen des ehrwürdigen Badeortes lockt und über mehrere Stunden bis lange nach Einbruch der Nacht dauert. Die vielen Kapellen in der Stadt, es sollen fast 500 sein, bilden die halb-improvisierten Treffpunkte für Verschnaufpausen während des anstrengenden und kräftezehrenden Marsches. Der Zug endet auf dem Place Turenne im Stadtzentrum. Ein kleiner Pavillon in der Mitte einer Parkanlage ist hell erleuchtet, von überall her dringt der stampfende Rhythmus der Musik, strömen die Karnevalisten herbei, die sich hier treffen und in drangvoller Enge einen Rigodon zelebrieren. Dieser Tanz, ein Volkstanz, der seine Ursprünge im Süden des Landes hat, stellt in Art, Aufbau und Durchführung die Perfektionierung des rituellen Ausbremsmanövers während des Umzugs dar. Wiese und Park erbeben unter den Schwingungen der zahllosen Tänzer, die urplötzlich in ein wildes Hüpfen übergehen, um kurz darauf wieder in das vorherige Schrittmaß zurückzukehren. Stimmungsvoller Höhepunkt schließlich das gemeinsame Anstimmen der Karnevalshymne, die das Ende des offiziellen Teils des ungestümen Treibens besiegelt. Nun ziehen alle durch die Straßen, kehren ein in die Kapellen oder in die vielen Restaurants und Bars an der Strandpromenade, die sich mit speziellen, traditionellen Menüs ebenfalls ganz dem Karneval verschrieben haben.
Touristeninformation:
Französische Zentrale für Tourismus in Deutschland, de.rendezvousenfrance.com
Region Nord-Pas de Calais http://www.nordfrankreich-tourismus.com
Dünkirchen http://www.ot-dunkerque.fr/fr/index.aspx
Anreise: Dünkirchen im Norden Frankreichs ist mit dem Zug oder dem PKW zu erreichen. Die Fahrt führt über Lille oder Brüssel bis an die Küste, Fahrtzeit von NRW aus etwa 3,5 Stunden.
Unterkunft: Es stehen zahlreiche Hotels, Pensionen und Privatunterkünfte in der Stadt zur Verfügung. Zur Karnevalszeit ist eine entsprechende Vorausbuchung empfehlenswert. Ein nettes Hotel am historischen Hafen ist das Hotel Borel www.hotel-borel.fr
Restaurants: Viele ausgezeichnete Restaurants in unterschiedlichen Preiskategorien lohnen einen Besuch. Insbesondere Fisch und Meeresfrüchte sind auf den Speisekarten zu finden. Während des Karnevals bekommt man fast überall typische, traditionelle Menüs. Dies gilt auch für die Bars und Bistros an der Promenade von Malo-les-Bains, die eine sehr authentische Atmosphäre vermitteln, zudem gibt es hier oft Live-Musik und Tanz.
Karneval 2015: Die offizielle Session begann bereits Ende Dezember 2014. An den folgenden Wochenenden gibt es viele Veranstaltungen und Bälle in der Stadt und den Gemeinden der Umgebung. Umzüge gibt es nicht nur an den klassischen Karnevalstagen zwischen dem 12. und 18. Februar sondern auch schon vorher und noch wesentlich später. Der Mardi gras (15.2.) stellt nur einen von diversen Höhepunkten in der Region dar. Am 22. Februar steigt der große Umzug von Malo-les-Bains. Den Abschluss bildet ein Umzug in Bollezeele Ende März.
Reportage von Udo Haafke, bei Hihawai.com veröffentlicht am 2015-01-27T15:09
Letzte Änderung: 26.01.2016 um 11:57 Uhr
Copyright: ARR - Link:
Karneval Dünkirchen, Malo-les-Bains, Maske, Tourismus, Reisen, Karnevalisten,Karnevalswagen,Karnevalshymne,Fasching,
[ Zurück ]
Diese Artikel könnten Dich auch interessieren

Auf den Spuren großer Filme: Warum Tschechien das perfekte Reiseziel für Cineasten ist
Von Bond bis Narnia – Tschechien ist nicht nur ein visuelles Highlight, sondern auch Europas heimliches Filmstudio. Wo Hollywoods Kamera läuft, können auch Reisende echte Drehorte erleben. Lust auf eine filmreife Reise?
Auf den Spuren großer Filme: Warum Tschechien das perfekte Reiseziel für Cineasten ist
Provence - Côte d’Azur News im Frühjahr 2018
Le Castellet feiert im Juni ein Highspeed-Comeback. Nach zehn Jahren Pause kehrt der Grand Prix de France auf den Ring Paul Ricard zurück. In L´Isle-sur-la-Sorgue wird ab dem Sommer mittels eines neuen Museums ein altes Handwerk mit Kuschelfaktor gewürdigt. Einen Überblick...
Provence - Côte d’Azur News im Frühjahr 2018
Mit dem Radreisetypentest zum Traum-Radurlaub
Mit dem Fahrrad über die Alpen. Traum oder Alptraum. Wie passen Vorstellung und Realität zusammen? Gibt es auch Strecken, die es dem Flachlandradler ermöglichen, die Alpenüberquerung genussvoll zu schaffen? Oder wäre der Donauradweg doch der entspannendere Urlaub? Radu...
Mit dem Radreisetypentest zum Traum-Radurlaub
Karneval auf Lanzarote
Von tanzenden Teufeln und brennenden Sardinen. Der Karneval gilt als wichtigstes Ereignis in Lanzarotes Veranstaltungskalender. Schon Monate vorher bereiten sich Lanzarotes Bewohner auf den Karneval vor – dementsprechend ausgelassen wird er begangen. Gefeiert wird auf der gesamten K...
Karneval auf Lanzarote
Conservation Safaris: Luxustourismus mit „grüner“ Mission
Singita lanciert 2017 zwei bisher einmalige „Conservation Safaris“ in Tansania. Luxustourismus und aktiver Umweltschutz – was lange im Widerspruch stand, ist in einigen Vorreiterunternehmen der Branche längst erfolgreiche Praxis. Bereits seit über zwanzig Jahren set...
Conservation Safaris: Luxustourismus mit „grüner“ Mission
Wenn der Frühling kommt, geht’s an die Côte d’Azur!
Wenn der Frühling kommt, dann schenk’ ich Dir...? Eine Reise an die Côte d’Azur, denn davon hat man eindeutig mehr als von Tulpen aus Amsterdam! Zudem hält hier der Lenz früher Einzug. Wer sich vom Winter noch nicht trennen will, kann in den nahegelegenen Seealpen Skifahren. Danach geht es an die...
Wenn der Frühling kommt, geht’s an die Côte d’Azur!
Remiremont – das Schweigen der Masken
Venedig, die mythenreiche Lagunenstadt an der norditalienischen Adria, wird gern für Vergleiche herangezogen, wenn es darum geht, dass ein Ort irgendwo auf der Welt eine annähernd ähnliche Anmutung, Lage oder Architektur besitzt. Das lothringische Remiremont am Rande der Vogesen verfügt nicht übe...
Remiremont – das Schweigen der Masken
Bruder Fritschi, König Rabadan und Prinz Karneval
Fastnacht hat lange Tradition in der Schweiz: Mitte Februar nehmen Bruder Fritschi, König Rabadan und Prinz Karneval das Zepter in die Hand. Und das Schönste für die Narren: Wenn bei uns in Köln und Mainz schon alles vorbei ist, können sie in der Schweiz in die Verlängerung gehen. Denn wenn bei u...
Bruder Fritschi, König Rabadan und Prinz Karneval
Fashion Victims – ab nach Nordfrankreich
Die Entwicklung der Textilindustrie führt man in Flandern und dem Artois zwischen dem 11. und 12. Jahrhundert zurück. Die daraus entstandene wirtschaftliche Blütezeit nannte man das „Gotische Wirtschaftswunder“. Um auf den Spuren dieser Industriegeschichte zu reisen, muss man kein Fashion Victim ...
Fashion Victims – ab nach Nordfrankreich
Von Spätherbst bis Weihnachten ist Kaki - Zeit in Meran
Von Spätherbst bis Weihnachten leuchten die kugelrunden Kakis von ihren entlaubten schwarzen Bäumen wie Laternen herunter. Sie bereichern das herbstliche Stadtbild Merans und die Speisekarten. Gesund sind sie dazu. Über die Kaki - Saison, Herkunft und Verwendung der Früchte berichtet das Vier Ste...
Von Spätherbst bis Weihnachten ist Kaki - Zeit in Meran
Providence - Das historische Herz der USA
Ab Juni 2015 wird es noch einfacher sein, von Deutschland aus direkt nach Neuengland an die Ostküste der USA zu reisen. Dann nämlich fliegt Condor jeden Montag und Donnerstag ab Frankfurt nonstop nach Providence im US-Bundesstaat Rhode Island, der mit einer vielfältigen Mischung aus historischem ...
Providence - Das historische Herz der USA
Kunst-, Architektur- und Denkmal-Interessierte können Queenslands Metropole jetzt noch einfacher auf eigene Faust entdecken
Brisbane-Besucher können die Metropole Queenslands auf neuartige Weise erkunden. Vier neue Pfade – sogenannte Public Art Trails – führen zu den wichtigsten Kunsteinrichtungen und -plätzen, architektonischen Sehenswürdigkeiten und Denkmälern der Stadt und verbinden diese miteinander. Die Erkundung...
Kunst-, Architektur- und Denkmal-Interessierte können Queenslands Metropole jetzt noch einfacher auf eigene Faust entdecken
Mit dem „Spirit of Queensland“ Australiens Sunshine State bereisen
Im australischen Bundesstaat Queensland wurde auf der Strecke zwischen Brisbane und Cairns ein neuer Zug in Betrieb genommen, der „Spirit of Queensland“. Er ist der Nachfolger des „Tilt Train“ und ersetzt in den nächsten Monaten sukzessive auch den „Sunlander“, der spätestens ab November 2014 nic...
Mit dem „Spirit of Queensland“ Australiens Sunshine State bereisen
Die Frauen von Motswari – itravel unterstützt Angestellte der Classic Safari Camps of Africa
Wer dieses Jahr mit itravel ins Timbavati Game Reserve nach Südafrika reist, der lernt nicht nur eine der außergewöhnlichsten Lodges des Landes kennen, sondern unterstützt auch die Frauen, die dort arbeiten. Jede Buchung belohnt der Reiseveranstalter mit einer Ausgabe des Buches „Die Frauen von M...
Die Frauen von Motswari – itravel unterstützt Angestellte der Classic Safari Camps of Africa
Klimafußabdruck der Flüge bei jeder Fernreise
Jede Wikinger-Fernreise ist jetzt auf der Website mit dem Symbol des Klimafußabdrucks der Flüge von atmosfair gekennzeichnet. Damit übernimmt der Veranstalter eine Vorreiterrolle in Bezug auf Transparenz und Umweltverantwortung. Wikinger Reisen, WWF-Partner und von TourCert auf Nachhaltigkeit und...
Klimafußabdruck der Flüge bei jeder Fernreise
Legendär und farbenfroh: Karneval im Aostatal
Ob römische Soldaten, mittelalterliche Edelleute oder Napoleon Bonaparte: die drei wichtigsten Karnevalsfeste im Aostatal erwecken seit vielen Jahren die Legenden und die Geschichte der Region auf besonders ausgelassene Weise zum Leben. Orte des Geschehens sind die beiden Gemeinden Pont-Saint-Mar...
Legendär und farbenfroh: Karneval im Aostatal